|
Wasser zu Eis
Der Lebensfarbe Deiner Lippen gleich begleitet die Geburt des Abends meinen Weg um den See mit zartem Rosa. Jedem Stock, jedem Stein die Achtung vergangener Jahre schenkend befließt mich das vertraute, warme Gefühl unstillbarer Sehnsucht nach Dir. Doch das immerforte Nagen des Wassers am flachen Ufer erstickt meine Hoffnung auf das Zurückkehren unserer Zeit der Träume. Die untergehende Sonne versucht vergeblich, mit ihrer letzten Glut meine Tränen zu trocknen, bevor der Wind sie zu Eis werden läßt. Ein einsamer Vogel zieht stumm seine Kreise unter dem weiten, violett gefärbten Himmel des Oktobers. Längst ist der tröstende Herbst eingekehrt, versteckt das kalte Grau unter einer bunten Decke aus verlorenem Blattwerk, das mit all seiner Farbenpracht meinem Herzen seine Traurigkeit zu entreißen sucht. Eine Bank am Rande des Weges lädt mich ein zur Rast, und schon treiben meine Gedanken fort in den ewig ruhenden See der Erinnerung an Dich. Die Hilflosigkeit, mit der ich meine Arme Deinem Bild entgegenstrecke, versagt mir jeden Schritt zum Horizont, wo das Leben auf mich wartet und ich Dich vergessen kann.
D. G. (1992)
|